Rede von Michael Gollnow bei der Eröffnung der T4- Ausstellung der Pinel gGmbH im Warschauer Haus der Begegnungen mit der Geschichte am 01.09.2017

Sehr geehrte Damen und Herren,

Ich möchte Sie herzlichst  begrüßen  und danke Ihnen sehr, dass ich heute am 1. September 2017 hier in Warschau im Haus der Geschichte Ihr Gast sein darf.

Mein Name ist Michael Gollnow, von der Pinel gGmbH in Berlin.

Die Pinel gGmbH ist ein berlinweiter Träger in der Versorgung und Betreuung von Menschen mit einer psychischen Erkrankung.

Die Pinel gGmbH ist nach dem französischen Arzt Philippe Pinel benannt , der zur Zeit der Französischen Revolution die sogenannten „Geisteskranken“ aus den Kerkern herausholte und sie von ihren Ketten befreite.

Ich bin der Initiator und Kurator der Ausstellung „Töten aus Überzeugung – die nationalsozialistischen Euthanasiemorde in Deutschland und Europa“.

Die Ausstellung beschäftigt sich mit der sogenannten Aktion T4, dem Massenmord an Patienten mit einer Behinderung im damaligen Deutschen Reich und Europa.

Hinter dem Namen „T4“ steht ab April 1940 die Planungsszentrale, welche in der Berliner Tiergartenstraße 4 ansässig war und den tausendfachen Mord an Menschen aus den Heil- und Pflegeanstalten initiierte, koordinierte und durchführte.

Über 70.000 Menschen wurden in den Gaskammern der sechs, dafür eigens eingerichteten Tötungsanstalten ums Leben gebracht, bis die „Aktion T4“ am 24. August 1941 aufgrund kirchlicher Proteste und Unruhe in der Bevölkerung auf mündliche Verfügung hin von Hitler abgebrochen wurde.

Die Ermordung der Anstaltspatienten beschränkte sich jedoch nicht auf das Deutsche Reich, sondern umfasste unmittelbar nach Kriegsbeginn, im September 1939, auch die besetzten Gebiete, insbesondere in Polen und der Sowjetunion.

Nach dem scheinbaren Stopp der „Aktion T4“ im Sommer 1941 wurden die Krankenmorde dezentral, auch in den besetzten Gebieten im Osten, durch Nahrungsentzug, Erschießung, Medikamentengabe und Tötung durch Gas fortgesetzt.

Die Erfassung, Selektion und Tötung der Anstaltspatienten war die erste zentral organisierte und systematische Massenvernichtung von Menschen.

Der Überfall auf Polen 1. September 1939 durch die deutsche Wehrmacht stellt eine Zäsur in der Menschheitsgeschichte dar.

Der 2. Weltkrieg begann nicht, wie bis noch vor kurzem angenommen, mit dem Beschuss des polnischen Munitionslagers auf der Westerplatte durch das deutsche Kriegsschiff „Schleswig – Holstein“ am 1. September 1939 um 4:45 Uhr.

Ein paar Minuten früher kam es zu einem Luftangriff auf Wielun, eine kleine polnische Kreisstadt mit fast 16.000 Einwohnern, 21 km von der deutsch-polnischen Grenze gelegen.

Infolge der Bombardierung kamen mindestens 1200 Einwohner ums Leben,       die Stadt wurde zu 70% zerstört, darunter war auch das städtische Krankenhaus, obwohl es mit der Fahne des Roten Kreuzes gekennzeichnet war.

Auf diese Weise hatte der nazideutsche Militärapparat begonnen, das Konzept des totalen Krieges ins Leben zu rufen, in dem der Eroberer nicht vorhatte, Regeln zu respektieren.

Die polnische Bevölkerung war weder auf die Geschwindigkeit noch auf die Härte und Rücksichtslosigkeit vorbereitet, mit der sich der deutsche Angriff auf Polen im September 1939 vollzog. Es eröffnete sich eine neue Dimension der Kriegsführung, die für den Vernichtungskrieg in Osteuropa kennzeichnend werden sollte.

September 1939 – ein Monat, der die Welt veränderte, in dem sich der Übergang der Zivilisation zur Barbarei wie im Zeitraffer vollzog und Polen das erste Opfer des kriegerischen Expansionsdrangs seines Nachbarn im Westen wurde.

Einher mit dem Überfall begann die Ermordung von psychisch Kranken in Polen.

Es war nicht nur der Auftakt für die Säuberung der psychiatrischen Krankenhäuser im ,,Reich“ von den sogenannten ,,Ballastexistenzen“, sondern in technischer Hinsicht auch Vorbild für die spätere ,,Endlösung der Judenfrage“.

In Bezug auf Polen greift eine doppelte faschistische Diskriminierung, denn sowohl Polen, wie auch psychisch Kranke und Behinderte galten, sei es nun wegen ihres Erbguts oder ihrer Rasse, als Untermenschen.

Die Nationalsozialisten entwickelten eine neue Technologie des Tötens von Menschen.

Das geeignete Versuchsgelände dafür war das eroberte Polen, wo die Aggressoren ihre Terrormethoden verbessern konnten, ohne gestört zu werden, und neue Konzepte entwickelten, Menschen industriemäßig zu töten, indem sie dafür auch polnische Bürger benutzten.

Bevor ich im Anschluss an meine Rede über den Krankenmord in Polen berichte, möchte ich noch einige persönliche Worte an Sie richten.

Durch die Hilfe meiner Kollegin und Assistentin Frau Lucyna Brendle hatte ich die Gelegenheit mehrfach nach Polen zu reisen.

Meine Aufenthalte in Polen, wo man im gesamten Land in einem nicht vorstellbaren Ausmaß auf Spuren der Verbrechen der Nationalsozialisten stößt, einschließlich des ehemaligen Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz, führten zu der Überlegung wie die gewonnenen Eindrücke zu verarbeiten sind.

Auschwitz war hierbei für mich von besonderer Bedeutung. Auschwitz ist ein Stück Deutschland in Polen.

Die Eindrücke dieses Ortes von geballten Verbrechen waren für mich in der Verarbeitung von tiefen Gefühlen geprägt.

Diese Gefühle drückten alles Einsetzen aus, wozu Menschen in bestimmten Konstellationen fähig sind, und welche schrecklichen Folgen daraus für die Betroffenen erwachsen.

Vor diesem Hintergrund beschloss ich die Erschaffung einer Ausstellung, die jene Tatorte abbildet.

In Bezug auf Auschwitz erwuchs in mir der Wunsch von diesem Stück Deutschland in Polen wieder ein Stück davon nach Deutschland zurückzubringen.

Die Ausstellung zeigt eine erfühlbare Geschichte und steht damit in einem anderen Fokus als eine Geschichtspräsentation, die sich ausschließlich des gedruckten Wortes bedient.

Im Mittelpunkt stehen hierbei die Exponate, welche aus selbst hergestellten Formen gegossen sind. Die Betrachter der Ausstellung können somit teilhaben an einer realistischen und historisch genauen Darstellung.

Neben der Vermittlung von historischen Kontexten, strebt die Ausstellung auch um eine Aufarbeitung mit dem Herzen an.

Es ist für mich eine große Ehre, dass ich heute an diesem Tag zu Ihnen sprechen kann.

Meine Aufenthalte in Polen und die Begegnung mit den Menschen hier sind immer von großer Herzlichkeit geprägt.

Es ist diese besondere Herzlichkeit und Freundlichkeit die mich sehr erreicht.

Das am heutigen Tag vor 78 Jahren meine Landsleute Ihr Land überfallen haben, beschämt mich sehr.

Ich danke Ihnen allen, dass Sie heute gekommen sind und lade Sie nach meinem Vortrag herzlich zu einer Begehung ein.

DZIEKUJE BARDZO I ZAPRASZAM