Interview mit Michael Gollnow M.A. anlässlich der Präsentation der Pinel-T4-Ausstellung in Krakau

[Berlin, 04.04.2017]

Herr Gollnow, ab dem 4. April gastiert die Pinel-T4-Ausstellung „Töten aus Überzeugung“ zum wiederholten Mal in Polen. Ist Ihre Ausstellung mit diesem Land besonders verbunden?

Ja, die Ausstellung fand bereits in Gdansk, in Breslau und in Opole statt. Die T4-Ausstellung wurde ja auch in Polen ins Leben gerufen. Das geschah im Jahre 2012 während eines Symposiums in Oświęcim. Dort hatten wir die Möglichkeit, das ehemalige Konzentrations- und Vernichtungslager zu besichtigen. Die Dimension der Verbrechen, die in Ausschwitz sichtbar wird, hat auf mich eine ganz große Wirkung gehabt. Ich habe mich entschlossen, diesen Ereignissen einen Ausdruck zu verleihen.

Findet die Ausstellung in Krakau anlässlich der ins Leben gerufenen Kooperation zwischen der Katholischen Hochschule für Sozialwesen in Berlin und der Öffentlichen Bibliothek der Wojewodschaft der Stadt Krakau, sowie der Pinel gGmbH statt?

Der eigentliche Anlass ist die Präsentation der Ausstellung in der Öffentlichen Bibliothek der Wojewodschaft der Stadt Krakau. Über die Präsentation der Ausstellung hat sich eine Kooperation zwischen der Pinel gGmbH, der Katholischen Hochschule sowie der Jagiellonen Universität Krakau (Soziologisches Institut) entwickelt.

Was genau beinhaltet die Kooperationsvereinbarung zwischen der Katholischen Hochschule Berlin und der Jagiellonen Universität Krakau?

Wir planen einen Studentenaustausch zwischen den beiden Hochschulen. Die Pinel gGmbH bietet zudem Hospitationsplätze für die Studenten beider Hochschulen an.

Warum ist es wichtig, diese Ausstellung den polnischen Studenten zu präsentieren?

Die für drei Monate in Krakau verbleibende Ausstellung ist Bestandteil des Unterrichts für die polnischen Studenten der soziologischen Fakultät, die irgendwann mit Menschen mit einer Behinderung arbeiten werden. Es ist ungemein wichtig, dass die angehenden Sozialarbeiter das Schicksal der Menschen kennen, die aufgrund ihrer Behinderungen von den Nationalsozialisten ermordet wurden.

Für die polnischen Akademiker stellt die Ausstellung eine Besonderheit dar. Auch in Polen wurden bei den sogenannten „Evakuierungen“ von Kliniken oder den damaligen psychiatrischen Anstalten Patienten systematisch erfasst und ermordet. Nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen gab es seitens der Nationalsozialisten ein rücksichtsloses und mitleidloses Verhalten und Vorgehen gegenüber diesen Menschen.

Mit wie vielen Besuchern rechnen Sie?

Da die Ausstellung in der öffentlichen Universitätsbibliothek präsentiert wird, gehen wir von mehreren tausend Besuchern pro Monat aus.

Welche Ziele verfolgt Ihre Ausstellung?

Diese Ausstellung legt Zeugnis davon ab, dass im faschistischen Deutschland der Massenmord an Menschen mit Behinderungen stattgefunden hat. Zugleich verfolgt die Präsentation das Ziel, durch genaue Abbildungen der Exponate und szenische Darstellungen die BesucherInnen emotional anzusprechen. Die T4-Ausstellung will durch ihren Aufklärungs- und Informationswert dazu beitragen, die noch immer vorhandenen Vorurteile zu entkräften, so dass die Menschen mit psychischen Erkrankungen ihren Platz in unserer Gesellschaft finden.

Die Ausstellung richtet sich an ein interessiertes Publikum, vor allem auch an Akademiker. Könnten Sie sich vorstellen, Ihre Schaukästen und Roll-Ups auch an deutschen Schulen zu präsentieren?

Die Schaukästen sind niederschwellig. Sie geben eine Vorstellung von den damaligen Ereignissen, indem sie beispielsweise die Tatorte nachstellen. Die Roll-Ups enthalten Beschreibungen von den historischen Geschehnissen. Derzeit arbeite ich gerade an der zweiten Ausstellung, die den Aspekt der Didaktik in den Vordergrund stellt. In diesem Zusammenhang werde ich die Texte in einer einfacheren, barrierefreien Sprache formulieren. Auf diese Weise möchte ich auch junge Leute erreichen, damit sie für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen mehr Verständnis aufbringen.

Nach Angaben der DAK-Gesundheit nimmt die Anzahl psychischer Erkrankungen in Deutschland weiter zu. Inzwischen sind sie der zweithäufigste Grund für Krankmeldungen. Gibt es in unserer Gesellschaft Verständnis für solche Erkrankungen?

Die psychischen Erkrankungen entstehen oftmals durch zu viel Druck im Job, viele Arbeitnehmer fühlen sich ausgebrannt und überfordert. Eine psychische Erkrankung ist für die Betroffenen oft mit einer großen Peinlichkeit versehen, sie fühlen sich ausgeschlossen. Die fehlende Empathie für Menschen, bei denen es die Seele nicht mehr schafft den Alltagsproblemen zu folgen, ist ein großes gesellschaftliches Problem.

Michael Gollnow M.A. ist Kurator und künstlerischer Leiter der Pinel-T4-Ausstellung „Töten aus Überzeugung – Die nationalsozialistischen „Euthanasie“-Morde in Deutschland und Europa.